Veröffentlichungen: Kinski

Buchbesprechung:

Klaus Kinski:
Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen

von Micha Hektor Haarkötter

In diesem Jahr wäre er 75 Jahre alt geworden: Klaus Kinski. Schauspieler, Egomane, Frauenheld. Er saß im Gefängnis und im Irrenhaus, er schlug sich mit Gegnern, mit Polizisten und sogar mit den eigenen Fans. Klaus Kinski spielte sein Leben lang Rollen, und nur eins konnte man ihm nicht nachsagen: daß er sie schlecht spielte. Jetzt also auch noch die des Dichters.

Unter eigenartigen Umständen sind bei einer Auktion eine handgeschriebene Sammlung von Gedichten vom Schauspieler als jungem Mann aufgetaucht. Der Herausgeber der Gedichtsammlung, Peter Geyer, las davon im Internet, erstand die Papiere, und voilá: nun liegt der erste und einzige Gedichtband Kinskis in gedruckter Form vor: „Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen“.

Wer war Klaus Kinski?

Das Nachkriegsdeutschland hat nicht viele internationale Stars hervorgebracht. Und das hatte vermutlich auch seinen Grund: Nach dem Größenwahn der Nazi-Zeit übte man sich in Bescheidenheit. Die deutsche Filmwirtschaft produzierte biedere Heimatfilme und ging schließlich daran zugrunde. Die wenigen Stars, die Deutschland sich genehmigte, hießen Romy Schneider oder Karlheinz Böhm, und die paßten irgendwie ins Bild der braven Deutschen, die nichts Böses im Sinn haben. Nicht so Klaus Kinski. Geboren 1926 unter dem polnischen Namen Nikolaus Nazksynski in Zoppot bei Danzig (heute in Polen), sorgte der Schauspieler zunächst in Berlin am Theater für Furore und wurde mit ersten Genie-Lorbeeren bedacht. Schnell begann er aber eine Filmkarriere als der typische Bösewicht und Provokateur vom Dienst. In über 160 Filmen hat er mitgespielt: Krimi-Verfilmungen, die sogenannten „Spaghetti-Western“ von Sergio Leone, Hollywood-Streifen wie „Doktor Schiwago“ oder auch als Hauptdarsteller für Autorenfilmer Werner Herzog. In Deutschland bleibt er aber bis heute auch in Erinnerung als großer Rezitator: Mit Vorträgen von Rimbauld-Gedichten und Villon-Texten füllte er Riesenhallen, sogar als „Jesus“ trat er auf und las Szenen aus dem Neuen Testament, was Anfang der siebziger Jahre für einen Skandal sorgte. Die Vertonung der Balladen des französischen Bänkelsängers Francois Villon steht bis heute als Schallplatte in vielen deutschen Wohnzimmern, und wer sie je hörte, wird sie nicht vergessen: Nicht weil Kinski so schön liest, sondern weil er so schön stöhnt dabei. Der Titel der Schallplatte war auch der Titel von Kinskis Autobiographie: „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“. Bislang der einzige Hinweis auf seine schriftstellerischen Ambitionen.

Nun aber Gedichte. Expressiv war alles an Klaus Kinski. Und auch seine Vorliebe für expressionistische Dichtung konnte er nicht verhehlen, ob es nun Rimbaud war oder der deutsche Lyriker Paul Zech. Vielleicht mag Kinski Seelenverwandtschaft gespürt haben, vielleicht fühlte er sich eins mit ihrer Impulsivität, vielleicht wollte er ihnen auch nur nacheifern, um an ihrem Genie-Gestus teilzuhaben. Jedenfalls klingen die Jugendgedichte Kinskis, die allesamt Anfang der 50er Jahre entstanden sind, wie direkt aus der expressionistischen Dichterwerkstatt. Konkrete Dinglichkeit ist angesagt, ein Sachwort jagt das nächste, und metaphorisch geht nichts unter Schweiß, Blut und Tränen. Das klingt dann so wie in dem titelgebenden Gedicht „Fieberwut“:

„Ich liege tagelange Nächte wund
unter dem Steinschlag schmerzverzerrter Bilder
wie schneller Knochenfraß im Kastenbett –
und mein gerißnes Blut zerhagelt immer wilder
meinen vom Tode durchgeseßnen Mund!!“

Klaus Kinski lebt zu der Zeit, als er die Gedichte schreibt, im selbstgewählten Exil in Paris. Dort teilt er sich ein billiges heruntergekommenes Zimmer in der Mansarde eines Hotels mit dem Filmemacher Thomas Harlan. Der war Sohn von Veit Harlan, einem berüchtigten Nazi-Regisseur, der den bis heute umstrittenen Film „Jud Süß“ inszeniert hatte. Und Thomas Harlan klärt in einem Vorwort über die Entstehung der einmaligen Kinski-Gedichte auf. Es ist die Zeit des Koreakrieges, die Zeit des beginnenden Kalten Krieges, in West-Deutschland herrscht ein restauratives Klima. Kinski beginnt eine Affaire mit einem 16-jährigen Mädchen aus Norwegen. Zu dritt machen sie die Nächte durch. Wach halten sie sich mit Coca Cola, in die sie zusätzlich Nescafé schütten. „Alles war wie Fieber damals“, erinnert sich Harlan. Und in diesen rauschhaften Nächten verfaßte Kinski seine Gedichte, tippte sie auf Harlans Reiseschreibmaschine, ließ zwei Exemplare beim Buchbinder binden. Ein Exemplar bekam das Mädchen aus Norwegen, das andere wurde in einem Koffer in Paris deponiert – und dort vergessen. Auf welchem Weg dieses verschollene Manuskript nach beinahe 50 Jahren nach München gelangt ist, das wird ein Rätsel bleiben. Wie so vieles im Leben des Klaus Kinski, dieses Angebers und Großtuers. Aber Kinski war eben auch ein ernsthafter Künstler, der sich als Schauspieler und Rezitator intensiv mit seinem Material, nämlich der Sprache, auseinandergesetzt hat. Seine Gedichte sind das beste Beispiel dafür.

von Micha Hektor Haarkötter, Sdg.: Deutsche Welle 2002 (arabisches Programm), Red.: Fares Youwakim

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